Eine meiner größten Stärken ist Konsequenz. Wenn ich mich mit einer Arbeit langweile, dann lasse ich sie bleiben – das gilt für Bügelwäsche genauso wie für einen Job. Wenn mir kein Mathelehrer der Welt den Sinn der täglichen Hausaufgaben vermitteln kann, dann konzentriere ich meine Energie auf andere Fächer und lasse Mathe sausen – auch wenn das null Punkte im Abi-Zeugnis bedeutet hat. Wenn ich mich in meiner Haut nicht mehr wohlfühle, dann starte ich ein Sport- oder Diätprogramm – wohl oder übel. Wenn mir ein Mann sehr viel bedeutet, eine gemeinsame Weiterentwicklung aber unvorstellbar ist, dann bleibe ich lieber allein. Wenn meine Krankheit nur mit lebensverlängernden Maßnahmen wie der Dialyse behandelbar, um nichts in der Welt aber heilbar ist, dann halte ich es für legitim, mich von der Transplantationsliste herunternehmen zu lassen und stattdessen meine Patientenverfügung zu verteilen.
Was bewegt mich zu dieser unpopulären, aber konsequenten Entscheidung? Es sind die Momente, die mich glücklich machen.
„Wer stetig glücklich sein will, der muss sich oft verändern.“
Dieses Zitat von Konfuzius begleitet mich schon lange. Es ist aktueller denn je. Mein Glück hängt davon ab, wie ich mich an die Gegebenheiten in meinem Leben anpasse. Was ich zulasse oder bleiben lasse, um meinen Seelenfrieden zu wahren und meinen gesundheitlichen Status so gut es geht zu erhalten. Mein Glück liegt ganz tief in mir drin. Ich brauche inzwischen nur sehr wenig, um mich glücklich zu fühlen. Jeder Tag, an dem ich arbeiten gehen kann, mir mein Essen schmeckt, die Katze sich freut, mich zu sehen, wenn mein Sohn bei mir ist, mir nicht sämtliche Knochen wehtun, ich gut geschlafen habe, die Vögel zwitschern, ich einen heißen Kaffee an einem stillen, unbehelligten Morgen trinken kann oder mit meiner Familie trotz aller Herausforderungen noch fröhlich lachen und scherzen kann – das sind meine Glücksmomente.
Ob die Entscheidung gegen eine Transplantation mir Glück bringt, weiß ich nicht. Sie beruhigt aber auf jeden Fall mein Gewissen. In absehbarer Zeit werde ich mir die zweite Niere entfernen lassen müssen. Sie arbeitet inzwischen nichts mehr und es wäre fahrlässig, die riesige Zystenniere in meinem Körper zu lassen. Das Risiko für Entzündungen, geplatzte, schmerzhafte Zysten oder sogar Bildung von Tumoren in den Zysten (soll ja vorkommen) ist zu groß. Der Weg wäre mit einer zweiten Nephrektomie frei für die Aktivlistung für eine Spenderniere. Ich habe mich dennoch dagegen entschieden. Auch wenn die Nieren beide entfernt wären: die Leber enthält auch Zysten. Meine Krankheit verschwände nicht mit einer Nierentransplantation. Abgesehen davon, dass ich noch viele Jahre auf eine Spenderniere warten müsste (die durchschnittliche Wartezeit für eine Niere liegt aktuell bei 10 Jahren, wovon ich vier bereits hinter mir habe), wäre nach einer Transplantation eine lebenslange, durch immens hohe und äußerst strikte Medikamenteneinnahme gekennzeichnete Immunsuppression nötig. Nebenwirkungen? Verträglichkeit? Nicht zu reden von möglichen Abstoßungsreaktionen des Fremdkörpers, die trotz Immunsuppression auftreten können und unter Umständen eine Rückkehr zur Dialyse erfordern.
Es ist mein konsequenter Weg, mich von der Listung abzumelden und stattdessen meine Angelegenheiten zu regeln. Er bedeutet für mich, freier und unbeschwerter meine Glücksmomente zu genießen und mit weniger Unsicherheiten und Ängsten in Bezug auf meine Krankheit zu leben. Dass sich manche Menschen in meinem Umfeld darüber entsetzt zeigen, ist klar. Ihr Weg sähe eben anders aus.