Ein Sandwich (bei uns = belegtes Brot) kann etwas sehr Leckeres sein. Es schmeckt und sättigt gleichermaßen. Mit Liebe zubereitet, üppig belegt, garniert mit Gürkchen, Salat oder Kräutern, macht es sogar optisch noch was her. Das Sandwich, in dem ich mich befinde, ist einfach nur anstrengend.
Mein Sohn am Rande der Pubertät – mit ersten rebellischen, mürrischen oder phantommäßigen Phasen, meine Eltern beide pflegebedürftig und zunehmend unselbstständig und ich mittendrin – selbst schwer krank, trotzdem noch arbeitend und meinen Haushalt führend.
Manchmal weiß ich nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Wo ich noch Tätigkeiten reduzieren könnte, um das Stresslevel zu verringern. Wo ich noch mehr Zeit ‚rausschinden könnte, um alles unter einen Hut zu bringen.
Die Dialyse (hey, es waren exakt vier Jahre am 30. Juni!) frisst jede Woche rund 15 Stunden Zeit. Unverrückbar. Diese Termine sind so fest betoniert wie Beton. Ich kann keinen einzigen davon ausfallen lassen und verschieben ist auch nicht ganz so einfach. Abgesehen davon, dass die Dialyseschichten alle bis auf den letzten Platz mit Patienten belegt sind, führt eine Verschiebung in meinem Leben zu erheblichen „Nebenwirkungen“, auf die ich lieber verzichte.
Im Normalfall laufen Dialyse, Arbeit und Alltag ohne große Probleme. Stressig wird es, wenn die Ausnahmen anfangen: Wenn zum Beispiel Elternbesuche außerhalb der üblichen Besuchszeit am Wochenende fällig werden. Oder wenn mein Sohn während seiner bei mir verbrachten Tage krank wird. Wenn außerplanmäßige Termine anstehen. Oder – noch schlimmer – wenn ich krank werde. Also…zusätzlich krank zur bestehenden Nierenkrankheit. Der absolute Worst Case: Wenn alles zusammen eintrifft. Eltern im Ausnahmezustand, Kind krank, ich krank. Dazu würde dann gut passen, wenn das Auto auch noch verreckt.
Mein Verständnis von „einer schwierigen Situation“ ist ein gänzlich anderes als bei den meisten anderen Menschen. Und jede Situation, egal wie schwierig sie auch sein mag, muss ich meistern. Mit der Dialyse im Rücken und in fast 100 % aller Fälle allein. Es gibt keine Eltern als Puffer im Hintergrund, erst recht keine Großeltern mehr. Mein Sohn, gerade jetzt, ist von Verantwortung weit entfernt. Meine Freunde sind räumlich weit weg. Ich weiß, dass viele Menschen sich täglich fragen, wie sie ihre „Work-Life-Balance“ besser hinbekommen. Dass es noch mehr Menschen gibt, die der tägliche Druck seelisch krank macht.
Ich frage mich selbst oft, wie ich es mache, dass irgendwie immer alles läuft und ich trotzdem nicht in Depressionen verfalle. Vielleicht ist es mein buddhistisch angehauchter Glaube, dass die Dinge eben so sind, wie sie sind – und es vieles im Leben einfacher macht, das zu akzeptieren. Genauso gilt es die zeitweise Erschöpfung zu akzeptieren, die Schwäche, die Müdigkeit (die Perimenopause kickt heftigst mit krassen Schlafstörungen), die Verzweiflung, die Trauer. Ich muss funktionieren, ja. Aber nicht immer.
Wenn ich vor lauter Arbeit, Eltern-Drama, Kinder-Frust und eigener Energielosigkeit wochenlang nicht dazu komme, meine Wohnung zu putzen, dann ist sie eben dreckig. Das stört mich zwar, macht mich aber auch nicht verrückt. Wenn ich Termine absagen muss, dann sage ich sie eben ab. Es wird wieder eine Gelegenheit für ein Treffen oder einen Ausflug kommen. Wenn meine demente Mutter alleine zu Hause ist und Unterstützung braucht, dann wird es irgendwie klappen, ein paar Stunden frei zu schaufeln, um nach ihr zu sehen. Die Arbeit bleibt vielleicht dann liegen, aber davon muss das Krankenhaus auch nicht schließen. Mein Sohn kann sich selbst eine Tütensuppe oder Tiefkühlpizza warm machen.
Das ultimative Hilfsmittel, wenn im Außen alles zu viel ist, ist Stille im Inneren. Wenn ich nach „Ich-fühle-mich-wie-ein-zerquetschtes-und-bei-40-Grad-im-Auto-aufbewahrtes-Sandwich-Tagen“ nach Hause komme, dann ist da Stille. Kein Fernsehen, keine Musik. Auch kein Buch, leider. Denn dafür ist der Kopf zu schwer und zu leer. Nur Stille. Eventuell ein paar Katzenvideos aus dem Internet. Und die Gewissheit, dass das Leben vergänglich ist – mitsamt den ganz miesen Tagen.