Es hat unbestreitbar Vorteile, wenn man im selben Krankenhaus arbeitet, in dem man dialysiert und sich auf eine Nierentransplantation vorbereitet. Doch sollte man sich als chronisch Kranke bewusst sein, dass eine Menge Untersuchungen im „eigenen Haus“ gleichbedeutend sind mit absoluter Entblößung vor den Kolleginnen und Kollegen.
Frau H. kann vermutlich am Ausdruck des aktuellen Blutbilds erkennen, wie viele Joints ich als Jugendliche geraucht habe und wann ich zum letzten Mal Sex hatte.
Herr M. fuhrwerkte in meinen Gedärmen herum, nachdem wir zuvor einen netten Schwatz über die neuesten internen Geschehnisse gehalten hatten.
Herr B. versenkte mich mit routinierter Gelassenheit in tiefe Narkose. Peinlich genug, dass ich – wie natürlich alle Patienten – dazu das obligatorische Flügelhemd erst ausziehen und mich dann unter ein dünnes OP-Abdecktuch legen musste.
Herr T. fühlte mit mir, als die erste Shunt-OP nicht so gelang wie beabsichtigt. Auch beim zweiten Versuch führte er das Messer und erklärte mir nebenbei den Ablauf der OP.
Herr G. befragte mich inquisitorisch-internistisch zu den intimsten Themen.
Die nette Dame, die erst kürzlich in meinem Büro Sachen abgeholt hat, quetschte meine Brüste in die Mammografie-Maschine.
In der Radiologie kennt man die Ausmaße und Beschaffenheit meiner Nieren, meiner Lunge und meines Schädels.
Unzählige Kolleginnen haben mir bereits Blut abgezapft, die Labor-Mitarbeiter könnten mir vermutlich aus dem FF eine individuell auf mich abgestimmte Diät zusammenstellen.
Und das Dialyse-Team weiß sowieso alles, sieht alles, hört alles.
Bisweilen fühle ich mich beobachtet und irgendwie ertappt, wenn ich durchs Haus laufe und meinen Kolleginnen und Kollegen begegne. Es war meine bewusste und gewollte Entscheidung, keinen Hehl aus meiner Krankheit und meinem gesundheitlichen Zustand zu machen. Denn mal ehrlich: Hätte es funktioniert, das mit Beginn der Dialyse noch geheim zu halten? Sicher nicht. Ich spreche offen über alles, ich erkläre jedem, der es wissen möchte, was los ist. Und das Wichtigste: Ich fühle mich wohl damit, dass ich eben nicht nur von irgendwelchen Ärzten und Pflegekräften betreut werde, sondern dass es Menschen sind, mit denen ich auch beruflich täglich zu tun habe.
Trotzdem erfordert es viel mehr Überwindung, sich Bekannten gegenüber in diesen Status des Ausgeliefert-Seins und der Fremdbestimmung zu begeben als Fremden gegenüber. Was hilft: Sich einzugestehen, dass man während der Untersuchungen und Operationen nichts anderes ist als eine von vielen Patientinnen. Und das Wissen, dass dies alles zu meinem Wohl geschieht.