Possessivpronomen sind nicht meine Sache. „Mein Kind“, „meine Wohnung“, „mein Auto“, „meine Katze“…Wenn es um Dinge geht, ist die Besitzanzeige ja noch in Ordnung, bei Lebewesen meiner Meinung nach aber nicht. „Mein Kind“ gehört mir nicht.
Es gehört mir nicht, aber es gehört zu mir. Es war mein Wunschkind. Ich wollte es so sehr, dass ich – um es zu bekommen – bei den ersten Anzeichen von Torschlusspanik (alle Freundinnen schon mindestens einmal gebärend, zur damaligen Zeit drei Kolleginnen aus dem Team zur gleichen Zeit schwanger, ich bereits gut jenseits der 30) recht schnell einen potenziellen Vater dafür ausfindig gemacht hatte. Ich glaube, er empfand die Ehe, die wir schlossen, im Nachhinein auch nur als ein legales Konstrukt, um mit gesellschaftlicher Akzeptanz das Kind zu bekommen und ihm als Familie während der ersten Lebensjahre eine sichere Umgebung zu bieten. Die Geburt meines Kindes war das schönste Erlebnis meines Lebens. Wir haben das super zusammen hingekriegt und ich glaube, das spüren wir beide heute noch.
Natürlich wusste ich über meine Zystennieren (in diesem Fall lohnt sich das Possessivpronomen wirklich: Es sind ganz allein meine Monster-Nieren!) schon Bescheid, als ich ein Kind wollte. Ich wusste, dass es ein 50-prozentiges Risiko gibt, diese Krankheit zu vererben. Ich habe mich trotzdem für mein Kind entschieden.
Jetzt ist das Kind acht Jahre alt. Es motzt mich an, wenn ich in Jogginghosen einkaufen gehe (absolut inakzeptabel), die Klotüre offen lasse oder meine dreckige Wäsche nicht in die Truhe, sondern daneben werfe. Es liest so gerne wie ich und erzählt unglaublich fantasievolle Geschichten (auch wenn ich irgendwie nicht mitkomme, wenn es um Autobots oder Decepticons geht). Kurz nach der Einschulung kam Covid und mein Kind hat bis heute fast nichts anderes in seinem Schulleben kennengelernt als Schulschließungen oder Home Schooling – und während dieser Zeit seine Mutter kaum gesehen, die im Krankenhaus alle Hände voll zu tun hatte, Presseanfragen zu beantworten oder Mitarbeitern Informationen zu den Covid-Regelungen zu geben. Letzten Sommer habe ich mich scheiden lassen – und wir Eltern haben es geschafft, dass das Kind keinesfalls darunter leiden muss, sondern weiterhin beide Elternteile gleichberechtigt für sich beanspruchen kann. Und nun kam die Dialyse dazu.
Ich frage mich in letzter Zeit oft, inwieweit das Leben der Mama das Leben des Kindes beeinflusst. Autoritätsperson, Vorbild und so…Ich sehe mein Kind an und es ist fröhlich. Es lacht, singt, spielt mit seinen Freunden, erzählt ohne Ende, fragt unglaublich viel nach und ist, wie alle Kinder, manchmal ziemlich schlecht gelaunt oder bockig. Wir reden über meine Krankheit, über meine Arbeit, über Sorgen und Ängste. Und ich spüre, dass das Kind sich durchaus dazu Gedanken macht. Es gibt Tage, wo wir zusammensitzen und trauern und Tage, wo wir rumblödeln oder kuscheln.
Um mein Leben mit der Dialyse organisiert zu bekommen, muss auch das Kind viel Flexibilität mitbringen. Die Nachbarin kann heute nicht die Betreuung übernehmen, während ich an der Maschine hänge? Dann muss es eben nochmal einen Vormittag lang zum Papa (der zum Glück ein sehr fürsorglicher und ausschließlich im Home Office arbeitender Papa ist). Wir hatten etwas zusammen geplant, aber ich bin nach der Dialyse einfach viel zu müde? Das Kind muss sich gedulden und auf den Ausflug warten. Wir wollten paniertes Schnitzel machen? Die Mama hatte keine Zeit zum Einkaufen und deshalb gibt es nur Suppe.
Ich glaube, dass Kinder Vieles bedingungslos annehmen, solange sie spüren, dass sie geliebt werden. Ich liebe mein Kind sehr. Es gibt mir so viel Kraft, auch wenn es manchmal sehr anstrengend ist. Ich lasse es ziehen, lasse es los, auch wenn es mein Kind, mein einziges Kind, ist und beobachte sein Großwerden. Ich versuche, nur Stütze und Ratgeber zu sein. Und einen Platz zu bieten, wo es immer willkommen ist. Egal, wie es mir geht.
Das ist so toll geschrieben.
Ich habe es meiner Frau vorgelesen
wir hatten beide Pippi in den Augen.