2022-12-29

Meine liebe Meggie

Meggie ist zwölf Jahre alt, blind und seit elf Jahren bei mir. Sie hat eine Ehe überdauert, drei Umzüge mitgemacht und meinen Sohn von dem Tag an begleitet, als wir damals mit ihm vom Krankenhaus nach Hause kamen. Sie ist die größte Nervensäge aller Zeiten und gleichzeitig das Liebste, was ich mir vorstellen kann. Sie ist mein Wecker, mein Seelentröster, mein Kuscheltier, meine Begleitung durch dick und dünn. Ich heule in ihr Fell oder knuddel sie wie verrückt an guten Tagen. Sie spürt jede Stimmung und ist einfach immer da.

In letzter Zeit hatte ich oft ein schlechtes Gewissen. Weil es irgendwann einmal eine Zeit und eine Umgebung gegeben hat, die für die Katze ideal war: Ein verkehrsberuhigt gelegenes Haus mit Garten und immer Menschen, die Zeit hatten und sich kümmerten. Jetzt muss das arme Tier stundenlang zwischen den Autos auf dem Parkdeck herumschleichen und sich mit dem schmalen Grünstreifen ums Haus herum begnügen. Dort wartet Meggie darauf, dass ich von der Arbeit und/oder der Dialyse heimkomme. Sogar wenn ich tagelang weg bin – zum Beispiel im Krankenhaus – wartet sie. Sie sieht nichts, aber sie horcht ununterbrochen. Wann kommt Frauchen wieder? Ich versuche, nie zu lange weg zu sein, aber es sind trotzdem immer viel zu viele Stunden, die die Katze alleine verbringt. In ihrer persönlichen Dunkelheit, horchend und auf mich wartend. Ich will es nicht so, kann es aber leider nicht ändern. Wegen ihrer Blindheit und ihrer absoluten Skepsis anderen Menschen gegenüber ist es unmöglich, sie zeitweise woanders einzuquartieren.

Die „blaue Stunde“: Kuscheln mit Katze auf dem Sofa, bevorzugt morgens beim Kaffee oder nach Feierabend.

Meggie ist das treueste Wesen, das ich kenne. Sie hat ihren Lebensstil an meinen angepasst: Wenn ich um fünf aufstehe, tut sie das auch (nachdem sie natürlich die Nacht neben mir im Bett verbracht hat). Wenn ich nach getaner Arbeit auf dem Sofa ausruhe, liegt sie auf meinem Schoß. Wenn ich mit oder ohne meinen Sohn esse, sitzt sie mit mir oder uns am Tisch.

Das Wichtigste ist aber, dass sie das Gleichgewicht ist, das ich brauche, um in diesem anstrengenden Alltag zwischen Arbeit, Dialyse, Krankheit, Kinderbetreuung und Haushalt nicht verrückt zu werden oder zusammenzubrechen. Sie bringt Ruhe mit, wenn es wieder mal sehr viel ist. Sie stupst mich mit der Nase an und leckt meinen Finger ab und alles wird gut.

Wir sind zwei Invaliden mit tausend Macken. Wir kennen uns in- und auswendig. Und ich hoffe, dass sie instinktiv spürt, wie viel sie mir bedeutet. Lebensqualität hängt bei mir definitiv auch von der Zeit ab, die ich mit meiner Katze verbringen kann!

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