Menschen kommen und gehen. Manche bleiben nur ganz kurz, manche ein Leben lang. Manche hinterlassen tiefe Spuren, andere sind nur noch ein Hauch einer Erinnerung. Doch was allen gemeinsam ist: Jeder hatte, hat oder wird noch seine Bedeutung haben.
Es gab Zeiten, da fiel mir die Decke auf den Kopf, wenn ich einmal einen Abend lang allein zu Hause bleiben sollte. Weggehen, mit wem auch immer, war das einzige Ziel. Falls sich niemand zum Weggehen finden ließ – Katastrophe! – mussten stundenlange Telefonate den Abend retten. Mit wem auch immer. Mehrere Partner teilten sich, mal länger, mal kürzer, Bett und Zeit mit mir.
Die Sturm-und-Drang-Zeit ist lang vorüber.
Danach kam die Familienzeit mit der Konzentration auf das Wesentliche: Ein Kind und einen Ehemann zu versorgen, einen Haushalt zu führen, nebenher zu arbeiten, die Katze zu füttern und dabei das eigene Ich nicht gänzlich zu vergessen. Freunde zu treffen war wenigen Momenten vorbehalten.
Dann, nach einigen Jahren, die vermeintlich große wiedergewonnene Freiheit: Alleinsein, allein wohnen, keine Kompromisse oder gar Zwänge mehr. Weder ideell, noch finanziell. Ein neuer Job versprach genügend Spielraum. Leider hat der Beginn der Dialyse dieser Lebensphase und meinen Plänen (Auswandern! Auf einer Farm in Griechenland leben! Schafe hüten!) einen großen Strich durch die Rechnung gemacht. Alleinsein ist nur schön, wenn man sich wohlfühlt und keine schwerwiegenden gesundheitlichen Einschränkungen hat. Und alles, was mir an Träumen in den Kopf kommt, muss ich nun endlos durchdenken und planen – um es dann meist doch wieder zu verwerfen. Freiheit beginnt bei mir nun am Freitag Nachmittag und endet am Sonntag Abend wieder.
Man könnte denken, dass ich in so einer Situation wieder mehr Menschen in mein Leben lasse, um Unterstützung zu haben, Beistand oder Trost. Doch das Gegenteil ist der Fall: Viele Menschen erschöpfen mich. Eine Krankheit verändert das eigene Denken und Fühlen. Die Energie muss noch mehr als zuvor auf das Wesentliche konzentriert sein. Geist und Körper stellen unnötige „Ausgaben“ an Energie einfach ein. Die Kraft reicht für den Alltag, für kleine schöne Dinge – und für wenige Menschen, die einen Mehrwert bringen, der die Energiespeicher auffüllt.
Das sind alles Menschen, die schon sehr lange Teil meines Lebens sind. In meinem Fall sind es dazu noch Menschen, die allesamt weit weg sind. Gespräche beschränken sich auf einzelne E-Mails, Telefonate oder Chat-Nachrichten. Persönliche Treffen finden so gut wie nie statt. Macht das was? Nö.
„Neue“ Menschen lerne ich kaum kennen. Wo auch? Und wozu? Ich bewege mich zwischen Arbeitsplatz und Zuhause. Das Bedürfnis nach Zerstreuung, Unterhaltung, Aktivität habe ich nicht. Vielleicht, weil die Erfahrung zeigt, dass der erhoffte Mehrwert ausbleiben wird. Vielleicht, weil das Wissen um den wertvollen Schlaf und das frühe Aufstehen am Morgen wertvoller ist als der kurze Kick am Abend zuvor. Vielleicht, weil ich keine Gespräche über meine Krankheit führen will, Smalltalk aber einfach zu ermüdend und langweilig ist. Vielleicht, weil Berührungen, der Duft einer Haut, der Geschmack eines Kusses unweigerlich in der eigenen Erinnerung verblassen.
Emotionale, geistige und körperliche Verbundenheit sind Dinge, die es in meinem Leben momentan nur verstreut auf wenige Personen oder gar nicht gibt. Das ist OK, denn so, wie Menschen kommen und gehen, wird sich auch dieser Zustand wieder verändern. Ich nehme von den Menschen um mich herum das Beste mit und erinnere mich an alle Menschen, die mein Leben bisher auf so unterschiedliche Weise geprägt, bereichert oder geteilt haben.
Der wichtigste Mensch ist der, der Dir jeden Tag aus dem Spiegel entgegen blickt. Denn der bleibt fuer immer, und mit dem muss man im Reinen sein, um langfristig zufrieden zu leben.