Die Natur: ein Traum. Das Licht: klar und hell. Das Meer: mal ruhig, mal stürmisch. Die Menschen: unglaublich freundlich. Der Geschmack der Früchte: paradiesisch. Der Rest: zum Fremdschämen, zum Hand-vor-den-Mund-halten, zum Kopfschütteln. Ich war zum ersten Mal in der Türkei Urlaub machen. In Belek, das an die 2-Millionenstadt Antalya angrenzt. In einem der unzähligen, am Meer entlang gebauten, sich an Prunkhaftigkeit und Größe gegenseitig übertrumpfenden 5-Sterne-All-inclusive-Hotels.

Die Urlaubsregion Belek ist für mich ein Beispiel dafür, wie man Tourismus heutzutage nicht mehr betreiben sollte. Jeder Zentimeter landschaftliche Fläche, von der aus man nur einen Hauch Meerblick hat, wird mit Hotelanlagen zugebaut. Die Anlagen sind riesig, mehrere Hektar groß. Fährt man durch die Ebene, die das Taurusgebirge und das Mittelmeer verbindet und in der praktisch alles gedeiht, was die Natur zu bieten hat (die Gewächshausplantagen beherbergen Bananen, Tomaten oder ähnliche, wetterempfindliche Gewächse, dazwischen Reihen um Reihen von Oliven-, Orangen-, Kirschbäumen sowie alle möglichen Arten von Feldern), sieht man überall am Horizont die Schemen der Hotels, die deren Größe aus der Ferne nur erahnen lassen. Der Stil der Gebäude reicht von kitschig-pseudo-orientalisch bis Betonbunker-mäßig. Über Stil lässt sich bekanntlich streiten. Was den meisten Hotelanlagen gemein ist: Sie bieten All inclusive an, meistens überdimensionierte Pools und für europäische Augen sehr unattraktive, aber bei Kindern beliebte Wasserrutschen und aus buntem Kunststoff bestehende Spielplätze. Man kann es dort durchaus aushalten, mit der Türkei hat das jedoch herzlich wenig zu tun.
Nach Jahren, in denen es mich meist nach Griechenland verschlagen hat, wollte ich ein neues Land kennenlernen. Wie immer hieß es, zunächst nach einem Dialysezentrum zu suchen. Ich wurde im Internet mit der Dialyse in Serik, einem Vorort von Belek, fündig. Die Anmeldung war unkompliziert und ging schnell – via WhatsApp und auf Deutsch, was in Deutschland wegen Datenschutz undenkbar wäre. Das Dialysezentrum war von meinem Hotel circa 10 Minuten Autofahrtzeit entfernt.

Wie in den griechischen Dialysezentren darf man auch in der Türkei nicht den Standard einer deutschen Dialyse erwarten – zumindest was den Materialverbrauch betrifft. Das deutsche Gesundheitssystem kann es sich immer noch erlauben, zur Desinfektion jeder einzelnen Maschine feuchte Einmal-Desinfektionstücher zu verwenden. In vermutlich allen anderen Dialysen der Welt genügt ein Lappen, getränkt in einem Eimer voll Desinfektionsmittel. Wenn in meiner Heimdialyse mehrere Kompressen zum Abdrücken der Punktionsstellen benutzt werden und das Ganze zusätzlich mit einem Mullverband fixiert wird, so reichen in den ausländischen Dialysen einfache Tupfer, die mit mehreren Pflastern getapt werden. Dass es in Serik nur ein Blutdruckmessgerät gab, das jedem Patienten angelegt wurde, ist für mich ein Zeichen dafür, dass das türkische Gesundheitssystem mit weitaus mehr Problemen zu kämpfen hat als das deutsche.
Das Personal der Dialyse hat mich herzlich betreut, auch die anderen Patienten waren überaus freundlich. Leider haben die Sprachbarrieren es verhindert, mehr Kontakt aufzubauen als ein gegenseitiges Anlächeln oder ein „Güle güle“ zum Schluss.
Vieles an meinem Urlaub war entspannend und schön. Dazu zählt eben die Tatsache, dass die Dialyse so unkompliziert war und sehr einfach zu erreichen. Das von mir gewählte Hotel war eine Augenweide, sowohl hinsichtlich der Ausstattung, der Lage direkt am Meer oder den immer äußerst liebevoll angerichteten, frisch zubereiteten Speisen (siehe oben).
Was mich traurig gemacht hat, war die Maßlosigkeit der Touristen, die Monstrosität der Hotelanlagen, der Raubbau an der Natur – die doch gerade in dieser Gegend so wunderschön ist! Alles richtet sich am Geld der Touristen aus. Größer, luxuriöser, opulenter…es gibt kein Limit nach oben. Denn das Touristenklientel hat das Geld – und gibt es im Urlaub großzügig aus. Das kulturelle Erbe der Einheimischen zählt nur noch, wenn man es in irgendeiner Form vermarkten kann. Und All inclusive bedeutet eben auch, ein spezielles Publikum anzulocken, das den Freuden des Alkohols nicht abgeneigt ist. Mit all seinen negativen Folgen für eher Ruhesuchende wie mich.
Mir persönlich wäre ein Einblick in die originale Türkei sehr viel lieber gewesen. Ein Urlaub im Hinterland, in einem der Bergdörfer des Taurusgebirges, mit Ansichten eines Landes, das sich vermutlich in einem großen Umbruch befindet. Hier schränkt mich die Dialysepflicht massiv ein.

Nachdem ich nun aber einmal vor Ort war und gesehen habe, wie der Verkehr ist, die Infrastruktur und das tägliche Leben (von quirligen modernen Metropolen wie Manavgat bis zu verschlafenen und ärmlichen Dörfern gibt es im Umkreis von wenigen Kilometern alles), kann ich mir vorstellen, wiederzukommen, eine Wohnung und ein Auto zu mieten und die Gegend auf eigene Faust zu erkunden.
Was ich mitnehme aus diesem kurzen Aufenthalt ist einerseits die Herzlichkeit der Menschen, andererseits ein gewisses Entsetzen darüber, dass in der Türkei der Trend zu „Mega“, zu Reichtum, Status und Prestige gerade so richtig an Fahrt aufzunehmen scheint, wohingegen bei uns doch bereits eher eine Rückkehr zu Bescheidenheit, zu Pragmatismus, Natürlichkeit und Nachhaltigkeit zu beobachten ist. Ach ja: Und dass es für einen Dialysepatienten schwer bis nahezu unmöglich ist, in einem All inclusive-Ressort, das den ganzen Tag über bestes frisches Obst und Gemüse anbietet, auf Kalium, Phosphat und eine maßvolle Menge an Nahrung und Getränken zu achten…