Zu viel Bier, zu viel Wein, zu viel Wodka, zu viel Hasch – ja, sogar zu viele Reibekuchen, in unbeschwerten Kindheitstagen maßlos mit Unmengen Apfelmus hinuntergeschlungen, um danach nie wieder angerührt zu werden. Unvergessen die Klassenfahrt der Oberstufe nach Polen – ach, war der Alkohol dort billig! – und der lederbehoste, kettenrauchende Klassenlehrer, der mich ziemlich schlecht gelaunt irgendwo auf einer löchrigen Autobahn zwischen Breslau und Krakau aus dem Reisebus bugsierte und meinte, ich solle mir doch den Finger in den Hals stecken und alles von mir geben, was ich intus hatte, damit die Fahrt endlich weitergehen könne.
Heute locken mir solche Erinnerungen ein Schmunzeln hervor. Doch natürlich war auch damals nicht alles lustig. Vermutlich gab es mehr als genug Momente, wo die Notaufnahme wegen einer Alkoholvergiftung nicht weit entfernt war. Aber wen juckt’s, mit 18, 19, 20?
Meine Überdosis heute lag nicht an Rauschmitteln. Das Kalium war schuld. Angesammelt übers Wochenende, mit welchen Lebensmitteln oder Getränken auch immer.
Zu viel Kalium im Blut kann lebensbedrohlich sein für Nierenkranke. Es wird nicht mehr über den Urin ausgeschieden, einzig und allein die Dialyse kann es aus dem Blut entfernen. Als ich nach dem Aufstehen am Morgen schon bemerkt hatte, dass es mir sehr schlecht geht – unglaubliche Übelkeit, Zittern, Muskelschmerzen in den Waden, kribbelnde Fingerspitzen und Lippen – da war mein erster Gedanke „Kalium“. Ich kannte die Symptome bereits, wenn auch nicht so stark. Ich rief sofort bei meiner Dialyse an und schilderte der leitenden Krankenschwester meine Beschwerden. Mit all ihrer Erfahrung kommandierte sie mich unverzüglich ins Krankenhaus. Eine Stunde später – und doch mehr als zwei Stunden vor meiner eigentlichen Dialysezeit – hing ich an der Maschine. Der Bluttest ergab einen Kaliumwert von 6,8 mmol/L (Millimol pro Liter). Normwerte: Zwischen 3,6 und 5,2. Alles über 6 mmol/L ist lebensbedrohlich, denn das hohe Kalium führt zu schweren Herzrhythmusstörungen.
Sogar noch einige Zeit nach der Dialyse (ich bin nicht selbst gefahren, sondern habe mir ein Taxi hin und zurück genommen) hüpfte mein Herz mal hierhin, mal dahin, rumpelte in seiner Herzkammer und wechselte hektisch den Rhythmus zwischen sehr langsamen und sehr schnellen Schlägen.
Diese Episode hat mir wieder einmal gezeigt, wie schnell sich ein Gesundheitszustand von „gut“ oder „stabil“ in „kritisch“ oder zumindest „unerträglich“ wandeln kann. Seit der Nephrektomie im Juni 2023 hat meine Ausscheidung radikal nachgelassen. Konnte ich in den ersten Wochen nach der OP noch einen guten Liter pinkeln, ist es inzwischen nicht mal mehr ein halber Liter. Das verändert sehr viel an einem Organismus. Nichts, was ich zu mir nehme, kann ich einfach so tun. Alles hat eine Auswirkung. Meistens keine positive.
Ich fühle mich nach diesem Tag wie ausgekotzt. Und überlege, ob ich überhaupt jemals wieder etwas essen soll. Denn anscheinend bekommt mir mittlerweile ganz, ganz Vieles nicht mehr.
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