2022-03-13

Uuh, ooh, aah…oder: Das Recht zu lieben

Es wird Frühling. Die Vögel zwitschern um fünf Uhr morgens, die Sonne lacht seit Tagen vom Himmel, die Temperaturen steigen. Es ist Paarungszeit. Dem Ruf der Natur – obgleich tausende von Jahren Evolutionsgeschichte entfernt – können selbst wir menschlichen Kreaturen uns nicht entziehen. Beim Anblick gut gebauter und adrett daherkommender männlicher Wesen wird mir warm ums Herz – und nicht nur da.

Doch halt: So einfach ist das nicht. Nicht mehr!

An guten Tagen – die Sonne tut einiges dazu, dass ich momentan fast nur gut gelaunt unterwegs bin – vergesse ich bisweilen meinen Alltag und mein krankheitsbedingtes Umfeld. Ich genieße die selbstbestimmte Freiheit, die mir das Internet in Sachen Kontaktanbahnung bietet. Die Pandemie rückt genauso in den Hintergrund. Das Netz ist voller interessanter Männer! Es macht nach langer Leidenszeit wieder Spaß zu flirten, sich zu verabreden oder einfach miteinander zu chatten. Ich merke, wie sehr mir das gefehlt hat.

Definitiv gehören Lust, Erotik und Sex unbedingt dazu, die eigene Lebensqualität zu erhöhen. Und nie war es für vor allem Frauen einfacher, die eigenen Bedürfnisse auszuleben.

Trotzdem stellen sich spätestens nach den ersten Kontakten Fragen und Herausforderungen ein.

Wann erzähle ich von meiner Krankheit? Wie passt es unter einen Hut, dass Männer mich attraktiv finden, ich selbst mit meinem eigenen Körper häufig aber gar nicht klarkomme? Wann bringe ich rein zeitlich gesehen Verabredungen unter? Kann ich überhaupt noch so, wie ich gerne würde? Darf ich als schwerkranke Frau überhaupt Lust haben und sie ausleben?

Über meine Nierenerkrankung rede ich mittlerweile sofort. D.h. wenn ich einen Mann gerne treffen würde, weil er mir sympathisch ist. Es macht keinen Sinn, Zeit und Energie in Konversationen und Verabredungen zu stecken, wenn dies für ihn vielleicht ein Hindernis oder Hemmnis darstellt.

Mein eigenes Körperbewusstsein hat in den letzten paar Jahren tatsächlich sehr gelitten. Dass ich keine unattraktive Person bin, weiß ich. Ebenso, dass ich viele Eigenschaften habe, auf die ich stolz bin. Prinzipiell bin ich sehr wohl mit mir im Reinen. Wenn der dicke Bauch aber wieder mal in keine Hose mehr passt, es in den Nieren zwickt und zwackt, ich von Sodbrennen geplagt bin und mir alle Knochen weh tun, dann ist es schlicht unmöglich, über die Krankheit mit all ihren Facetten hinwegzusehen und sich selbst sexy zu finden. Vielleicht liegt die Lösung des Problems in der Bestätigung durch andere. Vielleicht brauche ich genau in Zeiten des eigenen Zweifels einen anerkennenden Blick, eine wärmende Berührung oder ein Kompliment, um wiederzuerkennen, dass ein Zystennierenbauch körperliches Begehren nicht ausschließt. Ob das wirklich funktionieren kann, wird die Zukunft zeigen. Schließlich beginne ich nach der doch langen Krankheitsphase vor Beginn der Dialyse (in der ich mich so schlecht gefühlt habe, dass Sex absolut kein Thema war), nach Pandemie, Trennung und Scheidungszeit jetzt erst wieder mit den ersten zaghaften Flirtversuchen.

Doch die Lust ist wieder erwacht. Es ist ein schönes Gefühl! Eines, das in jeder Lebensphase dazugehört.

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