2024-12-29

Zeugnisse

Es ist der 29.12. Kurz vor dem Jahreswechsel sind die Medien voll mit Jahresrückblicken. Viele Menschen haben Urlaub und ertappen sich beim einen oder anderen Gedanken an das was war und das, was vielleicht kommen wird. So auch ich.

Was war also dieses Jahr so los? Nichts kann darüber besser Zeugnis ablegen als mein Tagebuch. Als ich mir überlegt habe, diesen Beitrag zu schreiben, kam mir die Frage, seit wann ich eigentlich Tagebuch schreibe. Ich weiß genau, dass mein erstes Tagebuch ein pastellrosafarbenes Exemplar ist, das ein Schloss zum Abschließen hat (weiß der Geier, wo der Schlüssel dazu abgeblieben ist). Ich weiß auch genau, wo dieses Tagebuch, zusammen mit den bestimmt dreißig bis vierzig weiteren, liegt. Aber von wann der erste Eintrag datiert, das wusste ich tatsächlich nicht mehr. Also bin ich in den Keller gegangen, um mein erstes Tagebuch zu holen. Der erste Eintrag ist vom 7.8.1986, da war ich neun Jahre alt.

Seitdem bezeugen meine Tagebücher meine persönliche Entwicklung. Sie enthalten meist dann Einträge, wenn es mir eher schlecht geht. Sie enthalten die Trauer, die Wut, die Einsamkeit, die Hoffnungslosigkeit, aber auch die Freude, die Aufregung, die Leidenschaft, die ich sonst nirgends abladen kann. Sie beschreiben meinen Alltag, aber vor allem meine Gefühle. Meine Stimmungen und unzähligen Fragen, die nie beantwortet werden. Sie informieren über Menschen, die es nicht in meinen Blog schaffen. Sie sind mein Leben.

Mein aktuelles Tagebuch ist blau und enthält Infos zu den Sternzeichen. Linus hat es mir im Februar zum Geburtstag geschenkt. Ich bin ein bisschen enttäuscht, denn beim Durchblättern fällt mir auf, dass dieses Jahr nicht wirklich was Besonders los war. Zumindest kein Mega-Kracher wie die Nephrektomie letztes Jahr oder eine neue Beziehung. Es war ein durchschnittliches Jahr. Das passiert selbst bei Zystennierenpatientinnen.

Das Highlight war sicher meine dreimonatige berufliche Auszeit von Oktober an. Die Pläne dafür sind nicht so aufgegangen wie gedacht, trotzdem war diese Zeit sehr intensiv und wichtig für mich. Ich habe neue Menschen kennengelernt, neue Orte entdeckt, einen völlig anderen Alltag erlebt wie üblich. Und sehr viel Zeit für mich gehabt.

Die Auszeit hat es mir ermöglicht, ganz langsam wieder einige soziale Kontakte aufzubauen. Ein Kaffee-Klatsch hier, ein Stadtbummel dort, ein gemeinsames Abendessen, ein Date…nicht viel, aber doch viel mehr als in den letzten Monaten. Die Auszeit hat mir aber auch gezeigt, wie schwer ich mir mittlerweile mit genau solchen sozialen Interaktionen tue. Ich lebe in meinem Kokon, der von der Dialyse, der Arbeit, den Bedürfnissen meiner Familie und bisweilen der Krankheit definiert ist. Es wird eine Herausforderung bleiben, andere Menschen und Freizeitaktivitäten in dieses strenge Reglement zu integrieren. Es wird auch mit jedem Jahr schwerer, überhaupt irgendwelche Menschen zu akzeptieren.

Ich habe ein weiteres Dialysejahr überlebt. Meine Eltern kämpfen täglich gegen den Fluch des Alters. Mein Kind wird groß und flügge. Die Katze alt und schrullig.

Mein Jahr geht mit einer fetten Erkältung zu Ende. Ab dem 2.1. werde ich wieder arbeiten. Und was 2025 so los war, lese ich dann in den Tagebucheinträgen nach, die ich im Laufe des nächsten Jahres schreiben werde.

Es steht übrigens schon fest, wer einmal meine ganzen Tagebücher, diese einmaligen Zeugnisse eines deutschen, emanzipierten Frauenlebens, erben wird. Es ist eine Frau, die ich schon länger kenne, als mein erster Tagebucheintrag her ist.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert