Ich trage die Last meiner Krankheit nicht allein. Alle anderen, die um mich herum sind, tragen sie automatisch mit. Und das wiederum ist für mich schwer zu ertragen.
Wann fühlt man sich krank? Vermutlich immer dann, wenn die eigene Autonomie und Mobilität durch eine Krankheit eingeschränkt sind. Im Normalfall trifft das auf mich als Zystennieren- und Dialysepatientin NICHT zu! Die Dialysezeiten sind mittlerweile fester Bestandteil meines Lebens. Ich sehe die Stunden, die ich an der Maschine verbringe, nicht als Belastung, sondern als Gewinn an Lebensqualität und tatsächliche Lebenszeit. Ich arbeite, führe meinen Haushalt, gehe in den Urlaub, unternehme etwas mit meinem Sohn oder meinem Partner, besuche meine Eltern, telefoniere mit Freunden. Trotz der Schwerbehinderung und der Zystennierenerkrankung fühle ich mich ansonsten gesund.

Krank fühle ich mich, wenn zu dieser Grunderkrankung andere Dinge hinzukommen: Momentan eine Infektion der Zysten, die mit sehr starken Schmerzen einhergeht. Zugezogen habe ich mir das ausgerechnet am letzten Tag eines ansonsten wundervoll entspannenden Urlaubs im schönen Bad Bocklet in der Rhön. Ich kenne die Schmerzen einer solchen Infektion, ich kenne den Verlauf, weiß, dass normalerweise Antibiotika und Schmerzmittel helfen und alles nach spätestens ein, zwei Wochen wieder im Lot ist. Andere Menschen sehen mich, wie ich kaum laufen oder noch normal atmen kann, mich krümme vor Schmerzen, nur auf einer Seite liege, um die schmerzende linke Niere zu entlasten – und tun das, was sie für richtig halten: Sie übergeben mich der Obhut der Ärzte. Oder – noch schlimmer – sie sehen mich gar nicht, sondern bekommen über andere Quellen mit, dass ich mit dem Notarzt ins örtliche Krankenhaus gebracht wurde. Sie wollen dann helfen – können es aber im Augenblick nicht.
Sich selbst einzugestehen, dass fremde Hilfe nötig ist, dass ein „Weiter so“ ab einem bestimmten Level an Schmerz nicht mehr möglich ist, das fällt mir unglaublich schwer. Denn mit diesem Eingeständnis verlagere ich automatisch die Last meiner Erkrankung auf die Menschen in meinem Umfeld. Nicht nur auf das medizinische Fachpersonal, das natürlich damit umgehen kann, weil es genau dafür geschult und ausgebildet ist. Sondern auch auf alle Menschen, die mich lieben. Mein Sohn, mein Partner, meine Eltern, meine Freunde und Kollegen, sie alle beginnen, sich zu sorgen. Der eine mehr, der andere weniger.
Das Paradoxe ist, dass man die Hilfe und Unterstützung von Angehörigen umso nötiger hat, je kränker man sich fühlt. Aber gleichzeitig möchte man diesen Menschen möglichst wenig zumuten. Denn man spürt ja, wie belastend man selbst für andere ist. Ich frage mich oft, wie mein Sohn das alles empfindet. Er zeigt mir, dass er sich sorgt, und ich versuche, oft und direkt mit ihm zu sprechen, um ihm Dinge zu erklären. Um ihm auch seine Angst zu nehmen, wenn es mir schlecht geht. Es gibt so viele Ratgeber à la „Wenn Mama krank ist“ – bei uns funktioniert das gegenseitige In-den-Arm-Nehmen und miteinander reden immer am Besten.
Ein Zusammenleben ist immer von Geben und Nehmen geprägt. Meistens gleicht sich ein zeitweise überbeanspruchtes Nehmen (durch eine akut erkrankte Person) im Verlauf der Zeit wieder aus. Trotzdem wird man als kranker Mensch nie das Gefühl los, eine Last zu sein. Denn das Zurückgeben wird bei einem Krankheitsverlauf, der theoretisch nur schlechter werden wird, nicht einfach.