2021-10-11

GdB 100

Ja, das bin ich auf dem Foto! Vor vielleicht zwanzig Jahren. Jung, fit, rotbackig, noch unbelastet von jeglichen Beschwerden.

Als die nette Mitarbeiterin des Sozialdienstes meiner Krankenkasse mir sagte, dass ich einen Schwerbehindertenausweis beantragen könne, fand ich das amüsant, dachte mir aber: OK, warum nicht? Schaden kann es ja nicht. Das ist nur wenige Monate her.

Jetzt erfahre ich gerade täglich, was Schwerbehinderung bedeutet. Nicht nur, dass ich drei Mal in der Woche fünf Stunden und mehr bei der Dialyse verbringe. Hinzu kommen viele kleine Anzeichen dafür, dass nichts mehr so ist wie es mal war – und auch nie wieder so sein wird.

Alte Menschen beschweren sich ständig über die Belastungen des Alters. Zu Recht! Es ist frustrierend, sich nicht richtig bewegen zu können! Es zerrt an den Nerven, wenn jeden neuen Tag ein neuer Schmerz oder ein neues Unwohlsein irgendwo auftauchen! Es macht traurig, andere zu sehen, die voller Energie und Lebenslust sind, während man selbst sich quält und abrackert!

Die Leiden des Alters kommen meist schleichend. Über Jahre hinweg. Ob sie dadurch leichter zu bewältigen sind, kann ich nicht beurteilen.

Ich bin noch nicht alt. Ich bin 44. Und meine Beschwerden brechen gerade überfallartig über mich herein. Die Dialyse war bis auf die ersten paar Tage eigentlich easy. Mal ein unangenehmes Punktieren, ein Drücken oder Stechen im Arm, aber ansonsten gut zu verkraften. Ich hatte meinen Rhythmus unter den neuen Umständen relativ schnell wiedergefunden.

Doch vor ein paar Tagen gab es einen gewaltigen Dämpfer: Ich bin direkt im Anschluss an die Dialyse zu einer Veranstaltung. Seit ich im Krankenhaus arbeite, gab es wegen Corona keine Veranstaltungen. Diese erste wollte ich mir nicht nehmen lassen. Doch mein Kreislauf nahm mir den Stehempfang und die vielen Menschen mit ihren Geräuschen sehr übel. Nach nur einer Stunde musste ich mich verabschieden – schweißgebadet, zitternd, fertig mit der Welt.

Nach dieser Sache weiß ich nun: Dialyse und Periode, Dialyse und Aktivitäten direkt im Anschluss sowie Dialyse und Wetterumschwung verursachen große Kreislaufprobleme. Mit dieser Erkenntnis lässt sich zwar entsprechend planen, glücklich macht sie aber keinesfalls!

Was sich nicht planen lässt, sind die Schmerzen. Auch davon bin ich bislang eher verschont geblieben. Doch meine Hoffnung, die positiven Effekte der Dialyse würden eine längere Zeit hinweg andauern und mir eine Phase der Ruhe und Stetigkeit bescheren, wird sich wohl nicht erfüllen. Nicht nur die linke Niere, sondern auch die rechte schmerzt nun regelmäßig. Sehr sogar. Wann die Monsternieren anfangen zu schmerzen, wissen nur sie allein. Wie lange sie schmerzen ebenfalls. Es kann sein, ich stehe morgens munter und fröhlich auf und zwei Stunden später krümme und winde ich mich, weil es sich anfühlt, als ob mir jemand Messer in die Seiten sticht. Ich darf nur Paracetamol nehmen, das hilft in etwa so viel, wie wenn ich einen Kaugummi kauen würde. Ein Morphin zu nehmen, habe ich bisher abgelehnt. Denn das würde wiederum zur Folge haben, dass ich „richtig krank“ zu Hause bleiben müsste. Eigenständig Auto fahren wäre damit nicht mehr möglich, arbeiten wahrscheinlich auch nicht. So kommt es nun immer wieder vor, dass ich mich durch den Tag quäle und den Moment herbeisehne, wo ich mich zu Hause mit einer Wärmflasche am Rücken und einer am Bauch möglichst ohne Druck hinlegen kann. Die Erlösung heißt dann Schlaf – wenn er denn möglich ist. Denn meistens sind die Schmerzen am nächsten Tag in der Regel wieder weg.

Die Einschränkungen sind da. Es werden stetig mehr. Die Einsicht, dass es so ist, ist auch da. Nur die Akzeptanz fehlt.

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