2021-09-12

Meine kleine Welt

Wir leben in einer Welt, in der das Leben von vielen Menschen – vor allem der westlichen Hemisphäre – gleichgesetzt wird mit Aktionismus jeglicher Art. Freizeit, Hobbys, Reisen, private Treffen, geschäftliche Termine – all das bestimmt unseren Alltag. Gleichzeitig stellt die Wahl unserer Aktivitäten unsere individuelle Persönlichkeit dar.

Meine Welt ist klein geworden. Nicht erst seit der Dialyse, sondern schon vorher. Durch Covid, durch die Trennung und Scheidung.

Ich gehe zur Dialyse, ich gehe zur Arbeit, ich komme nach Hause. Ich erledige den Haushalt, ich besuche meine Eltern, so oft es geht. Ich beschäftige mich mit meinem Sohn, wenn er bei mir ist. An den Dialysetagen laufe ich abends meine 6-Kilometer-Runde, um die Gedanken frei zu bekommen und durch die Bewegung ein paar Glückshormone freizusetzen. Und gelegentlich, denn viel Zeit bleibt dafür nicht, verabrede ich mich mit Freunden. Abends schaue ich nicht fern, sondern schreibe, lese oder mache Yoga. Manchmal sitze ich auch einfach nur da und denke nach.

Das war’s.

Kein Kurztrip mehr ins Wellness-Hotel. Keine Urlaubsreise nach Korfu. Kein Fitness-Studio.

Vor zwei Jahren war mir das alles noch sehr wichtig. Jetzt bedeuten Yoga und lange Spaziergänge in der Natur oder ein paar Stunden ohne irgendwelche Arbeit Wellness für mich. Die nötige Bewegung zum Ausgleich von der Dialyse und der Arbeit bekomme ich zuhause oder draußen. OK, mein Seelenort auf Korfu fehlt mir sehr. Wieder dorthin zu reisen (eine Feriendialyse gibt es ja auf der Insel) traue ich mich noch nicht.

Vielleicht ist diese Reduktion nur ein Zeichen des Älterwerdens. Nach einer gewissen Anzahl an Lebensjahren gähnt man doch automatisch bei dem Gedanken an bestimmte Aktivitäten, weil man sie schon zu oft erlebt und durchlebt hat. Also lässt man sie eben bleiben.

Vielleicht ist die Reduktion auch nötig, um den Alltag mit der Erkrankung zu schaffen (Selbsterhaltungstrieb und so…davon hatte ich es bereits mal!). Es geht darum, die eigene Stärke schlau zu verteilen. Denn dass ich noch viel Kraft für den weiteren Weg benötigen werde, das steht fest.

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